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Lot 3032* - A204 Gemälde Alter Meister - Freitag, 31. März 2023, 14.00 Uhr

MATTHÄUS MERIAN d. J.

(Basel 1621–1687 Frankfurt am Main)
Kleopatra. Um 1650–60.
Öl auf Leinwand.
90 × 69,3 cm.


Provenienz:
- wohl Sammlung des Grafen Johannes Septimius Jörger von Tollet (1594–1662).
- Auktion Christie's, London, 9.12.1993, Los 62 (als Umkreis Gérard de Lairesse).
- Europäische Privatsammlung.
- Auktion Bonhams, London, 29.4.2015, Los 176 (als flämische Schule, 17. Jh.).
- Europäische Privatsammlung.

Literatur:
Jahel Sanzsalazar: I am Cleopatra. The Seduction and Stoicism of a Newly Identified Painting by Matthäus Merian the Younger (1621–1687), in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Heft 1, 2019, 82. Jahrgang, S. 71–92.

Bei dem hier offerierten Gemälde handelt es sich um eine bedeutende Neuentdeckung, die aufschlussreich für Matthäus Merians gesamtes Schaffen ist. Während sich sein Vater Matthäus Merian d. Ä. (1593–1650) bis heute grosser Bekanntheit als Kupferstecher und Verleger erfreut und auch das Œuvre der Schwester Maria Sibylla (1647–1717) im Zuge des gesteigerten Interesses für weibliche Kunst in den Fokus der kunsthistorischen Forschung gerückt ist, attestiert die Akquise von Merians Selbstporträt durch das Historische Museum Frankfurt 2008 das neue Bewusstsein und die Wertschätzung dieses Künstlers.

Bekannt ist Matthäus Merian d. J. als Schüler von Joachim von Sandrat (1606–1688), mit dem er Altarstücke schuf, während er gleichzeitig als Kupferstecher arbeitete. Mit 18 Jahren trat er im Jahre 1639 in Anthonis van Dycks (1599–1641) Werkstatt in London ein. Nach van Dycks Tod übersiedelt er nach Paris, wo er sich mit den klassizistischen Stilen von Philippe de Champaigne (1602–1674), Simon Vouet (1590–1649) und Nicolas Poussin (1594–1665) auseinandersetzte. Von 1643 bis 1647 begab sich der Künstler auf eine Italienreise und besuchte unter anderem die wichtigsten Kunstzentren der Zeit Venedig, Rom und Neapel. Dabei erweckten insbesondere die Arbeiten von Guido Reni (1575–1642) und José de Ribera (1591–1652) Merians Interesse. Nach seiner Rückkehr nach Frankfurt übernahm er den Verlag seines Vaters und erhielt zahlreiche offizielle Aufträge für Porträts, die ihm grosses Ansehen einbrachten.

Während eine beachtliche Anzahl dieser Porträts noch erhalten ist, sind uns heute lediglich drei historisch-mythologische Arbeiten überliefert: Das Gemälde Vertumnus and Pomona (Öl auf Leinwand, 186 × 130 cm, Privatsammlung, Barcelona) sowie zwei Versionen der Artemisia (1647, Öl auf Leinwand, Museum of Art and Archaelogy, Universität Missouri in Columbia; 1655, Öl auf Leinwand, 133,3 × 120,3 cm, Anhaltische Gemäldegalerie in Dessau). Folglich gelten diese als Schlüsselwerke für Merians bislang weniger bekannte Facette und verdeutlichen zugleich sein innovatives Potenzial auch auf diesem Gebiet, das in Technik und Eleganz die Nähe zu seinem einstigen Lehrer Van Dyck belegt.

Basierend auf stilistischen Vergleichen zu diesen drei bekannten Werken, identifiziert Dr. Jahel Sanzsalazar unser Gemälde als Werk des Matthäus Merian d. J. (siehe Literatur). Stilistische und motivische Parallelen lassen sich ferner im "Bildnis der Familie Merian" im Kunstmuseum Basel finden (Abb. 1, Inv.-Nr. 2318, um 1642–43, Öl auf Leinwand, 118,5 × 140 cm). Ein ähnlicher orientalischer Teppich wird dort aufgegriffen und zur räumlichen Strukturierung effektvoll eingesetzt.

Die stilistischen Vergleiche stützend, bekräftigt auch der Stich Merians "Cleopatra with the Asp" (Abb. 2, nach 1656–1657, 23,7 × 17,8 cm, Stuttgart, Staatsgalerie, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. An 2205) seine Autorschaft. Als einer der feinsten Stiche des Künstlers, konnte dieser bislang mit keinem Gemälde in Verbindung gebracht werden, wenngleich die spiegelverkehrte Darstellung nahelegt, dass der Stich nach unserem Gemälde gefertigt wurde. Wie die Bildunterschrift des Stichs verrät, war dieser dem Grafen Johannes Septimius Jörger von Tollet (1594–1662) gewidmet. Dieser hatte sich als leidenschaftlicher Kunstsammler einen Namen gemacht und war eng mit der Familie Merian befreundet. Jahel Sanzsalazar hält es für wahrscheinlich, dass ihm auch unser Gemälde einst gehörte, das im Zuge der Verschuldung der Familie im Jahre 1667 von dessen Sohn veräussert worden sein könnte.

Die Stilanalogien zu den beiden Versionen der Artemisia (1647 und 1655) und zu dem Gemälde "das Martyrium der Heiligen Katharina" (1653) sowie die Datierung des genannten Stichs sprechen gemäss Sanzsalazar für eine Datierung des vorliegenden Gemäldes in die 50er-Jahre des 17. Jahrhunderts.

Die lateinische Inschrift des Stichs enthält neben der Widmung an Jörger auch ein Gedicht Merians als moralische Warnung vor den Tücken der Liebe. Wie auch in unserem Gemälde, stellt Merian Kleopatra als Verkörperung der verführerischen Femme Fatale dar, der alle Männer verfallen. Dabei spiegeln die beiden Darstellungen gekonnt die Zweideutigkeit wider, die das traditionelle Verständnis von Kleopatra umgibt und die sowohl Literatur als auch die Kunst inspirierte: Kleopatra, die als letzte Königin des ägyptischen Ptolemäerreiches und zugleich als letzter weiblicher Pharao von 51 v. Chr. bis 30 v. Chr. regierte, wollte ihr Reich ausbauen. Zu diesem Zwecke konnte sie die beiden mächtigsten Römer ihrer Zeit, zuerst Gaius Iulius Caesar und nach dessen Ermordung Marcus Antonius, als Geliebte gewinnen und mit deren Hilfe für einige Zeit die Machtstellung des Ptolemäerreichs deutlich verbessern. Antonius’ Niederlage gegen den späteren Kaiser Augustus bedeutete das Ende ihrer Herrschaft. Kleopatra und Antonius begingen Suizid und Ägypten wurde zur römischen Provinz Aegyptus.

Während antike Autoren unsere Protagonistin als historisch-politische Person beschreiben und ihren Selbstmord als Feigheit interpretieren, wird ihre Rezeption im 16. Jahrhundert mit Dante und Boccaccio rehabilitiert und die Figur der Kleopatra als Heldin und Märtyrerin idealisiert, die sich aus Würde und Stolz für den Freitod entscheidet. Im 17. Jahrhundert beginnen die Autoren eine menschlichere Vision von Kleopatra zu zeichnen, die sie in all ihren verschiedenen Aspekten, den ungeheuerlichsten Lastern und erhabensten Tugenden versteht. Ihr Selbstmord wird als ein Akt der Freiheit interpretiert und als Zeichen für ihre unermüdliche Liebe. In der Folge wurde sie zu einem moralischen Modell der Beständigkeit, was vom Neo-Stoizismus des Justus Lipsius als höhere Tugend idealisiert wurde.

Als überzeugter Neo-Stoizist zeigt Merian Kleopatra in stoischer Ruhe und Erwartung ihres Todes, ohne irgendeinen Hauch von Pathos oder Leiden. Stattdessen porträtiert er eine Frau, die sich in ihrer Notlage geradezu wohl zu fühlen scheint. Ihre Augen gesenkt, schaut sie der Schlange entgegen und erwartet sie mit verschränkten Händen. Merian zeigt Kleopatra folglich majestätisch, aber nicht als unantastbare Königin, vielmehr als Frau, die uns einlädt, ihrer sanften Vergiftung beizuwohnen.

CHF 60 000 / 80 000 | (€ 61 860 / 82 470)

Verkauft für CHF 73 500 (inkl. Aufgeld)
Angaben ohne Gewähr